Jetzt geht es endlich zu Sache! Für diese Coloration habe ich meine Lieblingsbuntstifte (Polychromos von Faber Castell) und mein Lieblingspapier (Stonehenge Paper) verwendet. Das heißt, wir arbeiten mit etwas festeren Stiften auf Papier, das aus Baumwolle hergestellt wurde. Dadurch ist es widerstandsfähig und löst sich nicht sofort auf, wenn man radiert, oder viele Schichten übereinander schraffiert. Und genau das werden wir tun, um ebenmäßige Flächen zu erzeugen.
Wir beginnen damit, den Arbeitsplatz für die Arbeit vorzubereiten, denn nichts ist beim traditionellen Colorieren nerviger, als die hektische Suche nach Radiergummis oder bestimmten Buntstiften, während der Arbeit. Es ist sehr wichtig ist, das Bild vor Handflächenschweiß zu schützen, damit nichts verwischt. Daher legen wir ein schützendes Blatt Papier von Anfang an unter die rechte Hand. Anspitzer, Splender, Burnisher und vielleicht auch Taschentücher zum Verwischen, sollten ebenso bereit liegen. Die Outlines habe ich digital erstellt und dann direkt auf das hochwertige Papier gedruckt. Der Vorteil: Es musste nicht radiert werden und die Oberfläche des Papiers ist dadurch praktisch jungfräulich.
Schritt 1:
Ich habe mich bei der Motivwahl für eine relativ neue Figur von mir entschieden. Sie heißt Aruni Gupta und hat indische Wurzeln. Dadurch besitzt sie einen relativ dunklen Hautton, den wir uns nun Schritt für Schritt erarbeiten. Im ersten Schritt legen wir den Grundton der Haut fest. Ihr müsst bei diesem ersten Schritt keinesfalls allzu vorsichtig oder zögerlich vorgehen. Zu diesem Zeitpunkt sieht man noch die einzelnen Striche und auch die Struktur des Papiers - das macht aber nichts! Es geht nur darum, der Fläche eine gleichmäßige Grundierung zu verpassen.
Diese erste Schicht ist dazu da, um trotz des Einsatzes unterschiedlichster Farben, ein einheitliches Erscheinungsbild zu erzeugen und bei weißem Papier (wir nutzen hier ja welches mit einem leichten taupe-Ton) die weißen Stellen zu eliminieren. Reines Weiß und reines Schwarz gibt es in der Natur so gut wie nie und man nutzt diese beiden Farben beim Colorieren höchstens, um bestimmte Schatten ganz besonders dunkel zu gestalten und somit einen Fokus zu setzen, oder - umgekehrt - um mit Weiß spektakuläre Highlights zu setzen (entweder mit einem weißen Buntstift, oder sogar mit Deckweiß). Diese Highlights wirken aber nur dann richtig beeindruckend, wenn ihr vorher darauf geachtet habt, keine weißen Stellen übrig zu lassen.
Schritt 2:
Im zweiten Schritt skizziert ihr mit der Grundfarbe grob den Lichteinfall. Auch hier müsst ihr noch nicht super genau schraffieren - ein grober, erster Entwurf reicht und dient lediglich als Leitfaden für die nächsten Schritte. Mit Buntstiften zu arbeiten, ist eine Geduldsarbeit. Die Bilder erwachen durch viele verschiedene Schichten, die behutsam übereinander gelegt werden, langsam zum Leben und gewinnen so an Homogenität und Kontrast. Anfangs drücken wir noch nicht allzu fest auf. Das kommt erst später.
Schritt 3:
Legt nun mit einem etwas dunkleren Stift (hier eine Art Nussbraun) vorsichtig die dunkelsten Stellen im Bild fest. Diese befinden sich hier direkt unter Arunis Haar, unter ihrem Kinn und unter ihrem Ärmel.
Haut wirkt erst durch den Einsatz einer Vielzahl an Farben wirklich lebendig. Vergesst die „Fleischfarbe“. Man kann diese zwar verwenden, aber wenn, dann nur in Kombination mit anderen Farben! Da Aruni recht dunkle Haut besitzt, habe ich in diesem Schritt einen rosenholz-farbenen Buntstift verwendet, um die Stellen zu betonen, die gut durchblutet sind (wie z.B. Die Wangen und die Lippen).
Mit dem selben Stift könnt ihr vorsichtig auch weiter die Schatten vertiefen. Aber aufgepasst! Nicht übertreiben, sonst wirkt die Haut irgendwann krebsrot! XD Spätestens jetzt beginnt das Bild langsam glatter und sanfter auszusehen. Die Struktur des Papiers verschwindet nach und nach unter den Farbschichten.
Schritt 4:
Jetzt ist Mut gefragt! Mit einem deutlich dunkleren Buntstift werden nun die Schatten vertieft. Ich habe hierfür ein recht neutrales, ebenholzfarbenes Braun verwendet, das einen eher kühlen Touch besitzt, damit das Gesamtergebnis nicht insgesamt zu rötlich wirkt. Diese Schicht entschärft die rötlichen Hautstellen wieder etwas und erzeugt einen ganz anderen, sehr viel dunkleren Gesamteindruck. Mit diesem Schritt steht die grobe Coloration. Wir haben einen warmen Grundton, rötliche Stellen, die dem Gesicht Leben einhauchen und im Ausgleich dazu ein kühleres Braun als Schattenfarbe, das mit der Grundcoloration kontrastiert. Nun wird es Zeit für etwas Verfeinerung und Magie!
Schritt 5:
Aus dem vorangegangenem Artikel weißt du vielleicht schon, was Papierwischer, Burnisher und Splender sind. Im nächsten Schritt kommen letztere zum Einsatz.
Als erstes benutzen wir den Burnisher, um die Farben auf dem Papier mehr zu vermischen und eine gleichmäßigere Oberfläche zu erzeugen. Dazu spitzt ihr den Stift scharf an und malt mit kurzen Strichen aber ordentlich viel Druck über die bereits colorierten Stellen. Wichtig ist, dass ihr hier nicht ungeduldig werdet und zu wild drauf los zeichnet. Der spitze Stift und die kleinen Zeichenbewegungen sind sehr wichtig, damit die Farbpigmente fein und dicht vermischt werden und wie eine gleichmäßige Schicht auf dem Papier liegen. Wenn dieser Schritt abgeschlossen ist, wirken die Farben glatter, aber auch matter. Keine Sorge, denn jetzt beginnt der spaßige Teil!
Schritt 6:
Ihr könnt nun beinahe alle bereits verwendeten Stifte in die Hand nehmen, zusammen mit dem Splender (Polierstift) und weitere Schichten über die mit Burnisher versiegelten Farbflächen legen. Ihr werdet feststellen, dass die Farben nun plötzlich viel lebendiger und strahlender wirken. Den Effekt könnt ihr nochmal verstärken, indem ihr mit dem Splender gewisse Stellen „poliert“. Diese wirken dann besonders farbintensiv und beeindruckend (ich habe z.B. Arunis Lippen damit bearbeitet).
Auch habe ich endlich ihre Augen coloriert. Achtet darauf, dass auch die Augen dem Lichteinfall entsprechend schattiert sind. Das ist zwar stark Stilsache (je nachdem, wie tiefe Schatten man setzen möchte), dennoch sehe ich oft zu helles Augenweiß bei ungeübten Zeichnern, was den Ausdruck des Bildes meiner Meinung nach etwas ruiniert. Scheut euch nicht davor, auch mal dunklere Schatten zu setzen. In welcher Dosis ist euch überlassen, aber nach meiner Erfahrung sind Kontraste das A und O, um ein Bild lebendig wirken zu lassen. :3
Pro-Tipp: Grau ist auch nicht immer einfach nur grau. Versucht ein bisschen von der Umgebungsfarbe einzuarbeiten, damit die grauen Stellen sich besser in die Gesamtoptik einfügen. Das selbe gilt übrigens für sehr dunkle Stellen, oder für Bereiche, die weiß wirken sollen. Verwendet z.B. statt reinem Schwarz bei einem Bild mit kühleren Tönen, Dunkelblau und Dunkelgrau gemischt und bei einem Motiv mit wärmerem Grundtenor Dunkelbraun und Dunkelgrau. Anstatt reinem Weiß könnt ihr dann entweder sehr helles Blau, oder Cremefarben verwenden. Beachtet immer die Umgebungsfarbe und mischt bei Bedarf etwas davon in die angrenzende Farbfläche hinein. So vermeidet ihr Farben, die sich beißen und nicht so aussehen, als gehörten sie auf einem Bild zusammen.
Schritt 7:
Wenn wir schon beim Thema Kontraste sind....
Ich bin sicher - ab diesem Zeitpunkt tut euch langsam die Hand weh, aber wir sind noch nicht ganz fertig! Zum Schluss kommt der spaßigste Teil: Highlights und Kontraste setzen.
Für die Kontraste habe ich ein kühles Dunkelgrau verwendet und damit die Schatten unter Arunis Kinn und Haar nochmal verstärkt. Für die Highlights habe ich einen weißen Buntstift verwendet, der auf dem getönten Papier einen tollen, strahlenden Effekt erzielt. Wie oben bereits erwähnt, könnt ihr euch auch nochmal überlegen, beim fertigen Bild mit Deckweiß feine Glanzpunkte zu setzen. Tut dies aber mit Vorsicht und übertreibt es nicht - sonst verliert nicht nur der Effekt seine Wirkung, das Bild wird auch unübersichtlich und man weiß nicht mehr, wo man hinschauen soll.
Zum Schluss werfen wir nochmal einen Blick auf alle Farben, die wir allein für Haut und Augen verwendet haben - ganz schön viele! Und genau das ist das Geheimnis einer hübschen Buntstiftcoloration: Viele Schichten. Man beginnt grob und arbeitet sich zu einem immer feineren Ergebnis voran - Schicht für Schicht. Und wenn mal eine Stelle zu dunkel geworden ist, könnt ihr versuchen, diese vorsichtig mit einem Radiergummi zu korrigieren.
Natürlich gibt es auch andere Methoden, mit Buntstiften zu arbeiten! Ihr könnt z.B. mit weniger Schichten arbeiten und die Farben mit einem Taschentuch oder Papierwischer zu sanften Pastelltönen verblenden. Das Ergebnis wirkt weniger „dicht“ und „schwer“ und eher luftig und verträumt. Ihr könnt auch bewusst mit sichtbaren Strichen arbeiten, um die Form und Plastizität einer Oberfläche, oder die Beschaffenheit eines bestimmten Materials darzustellen (z.B. Fell oder Leder!). Oder ihr spielt mit verschiedensten Papierstrukturen und nutzt sie, um spannende, experimentelle Ergebnisse zu erzielen. Im Grunde sind die Möglichkeiten beinahe unendlich! Ich wünsche euch viel Spaß beim Experimentieren und beim Erforschen eures eigenen Buntstift-Stils und hoffe, dass euch der kleine Einblick in meine persönliche Arbeitsweise dabei etwas weitergeholfen hat!
Autorin dieses Artikels:
Melanie Schober, geboren am 23.3.1985 im idyllischen Saalfelden (Österreich) zeichnet seit frühester Kindheit mit Begeisterung Comics und Comic-Figuren. Im zarten Alter von dreizehn Jahren wurde sie mit dem »Sailormoon-Virus« infiziert und widmet sich seither der japanischen Mangakunst.