Maren Amini über Ahmadjan und der Wiedehopf

Künstlerin Maren Amini liefert mit dem Comic "Ahmadjan und der Wiedehopf" ein einfühlsames und beeindruckendes Debut. 2023 zeichnete sie die Berthold Leibinger Stiftung dafür mit dem Comicbuchpreis aus. Im Interview spricht Maren über die Entstehung der Graphic Novel und ihren persönlichen Werdegang.

Interview

Über Maren Amini

Maren Amini wurde 1983 in Hamburg geboren. 2009 schloss sie ihr Studium in Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration bei Prof. Reinhard Schulz-Schaeffer an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ab. Von 2010 bis 2011 spezialisierte sie sich auf die Entwicklung von Serienkonzepten im Rahmen eines Stipendienprogramms an der Akademie für Kindermedien in Erfurt. Seit 2006 ist sie als freiberufliche Cartoonistin, Kolumnistin und Illustratorin tätig und hat dabei unter anderem für renommierte Unternehmen wie die Washington Post, den SPIEGEL, die ZEIT und das Fraunhofer-Institut gearbeitet. Für ihre Graphic Novel "Ahmadjan und der Wiedehopf" erhielt sie 2023 den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung.

Maren Amini
Buchpremiere

Buchpremiere von Maren Amini: "Ahmadjan und der Wiedehopf" | Hamburg

05. Okt. 2024 20:00 Uhr
Carlsen Verlag
, Hamburg

Einfühlsam und mit leichtem Strich erzählt: Maren Amini präsentiert ihren Comic mit Lesung, Gespräch und traditioneller afghanischer Musik

Maren und Ahmadjan Amini und der Carlsen Verlag laden zum Buchrelease der Graphic Novel "Ahmadjan und der Wiedehopf" in Hamburg ein - im Rahmen des Comicfestival Hamburgs und mit Lesung, Gespräch und traditioneller afghanischer Musik von Salima (Gesang) und Chrushal (Sitar)!

Eine bewegende Lebensgeschichte erzählt von der Tochter: 1972 kommt der junge Ahmadjan aus Afghanistan nach Deutschland, um Künstler zu werden. Was folgt, ist eine bunte Irrfahrt; ein bewegtes Leben zwischen Kunst und Krieg, Heimat und Neuanfang, Flucht und Verantwortung, immer auf der Suche nach dem Glück. Seine beeindruckende Biografie erzählt Ahmadjans Tochter Maren Amini in ihrer Graphic Novel entlang der alten persischen Sage der »Konferenz der Vögel« von Fariduddin Attar. Sie zeigt darin auch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität und der Geschichte Afganistans, einfühlsam, humorvoll und mit leichtem Strich.


Anmeldungen bitte über Eventbrite.

Veranstaltungsort:
Carlsen Verlag
Völckersstraße 14-20
22765 Hamburg
Preis:
Eintritt frei!
Ahmadjan und der Wiedehopf

Wie bist du zum Zeichnen gekommen und welche Rolle hat das Comicmedium für dich und deine Liebe zur Illustration gespielt?

Ich habe als kleines Kind oft mit meinem Vater zusammen im Keller gemalt. Da habe ich zu ihm gesagt: „Wenn ich groß bin, werde ich eine große Künstlerin!“ In der neunten Klasse hatte ich Berufsberatung, und dort habe ich zum ersten Mal von dem Beruf „Illustratorin“ gehört. Das bin ich dann auch, wie gewollt, geworden.

Seit ich 13 Jahre alt bin, zeichne ich täglich und habe auch immer Comics gezeichnet. Mit 16 Jahren habe ich in einer kleinen lokalen Fußballzeitschrift gearbeitet und dort meine ersten Comics veröffentlicht.

Heute zeichne ich für Zeitungen wie die Washington Post oder DIE ZEIT und Magazine wie SPIEGEL oder STERN. Auch für Unternehmen wie die BKK, das Fraunhofer Institut oder den Hamburger Hafen (HHLA) bin ich tätig und zeichne viel zum Thema Mitarbeiter- und Patientenkommunikation sowie Pflegeratgeber. Ich komme ins Spiel, wenn Themen traurig, trocken oder kompliziert sind, denn ich kann mit meinen Zeichnungen Schweres leicht machen.

Maren Amini

Cartoons sind für mich die Königsklasse der Zeichenkunst. Mit einem einzigen Bild und einem Spruch eine starke Reaktion hervorzurufen – das ist die Kunst. 

Viele deiner Arbeiten fallen in die Kategorie Cartoon – Zeichnungen mit einfachem, aber sicherem Strich, die innerhalb weniger Linien Plot und Pointe vereinen. Wie gehst du dabei vor, wenn du komplexe Ideen oder auch mal einen guten Lacher in nur einer Zeichnung ausdrücken sollst?

Cartoons sind für mich die Königsklasse der Zeichenkunst. Mit einem einzigen Bild und einem Spruch eine starke Reaktion hervorzurufen – das ist die Kunst. Man erkennt sofort, ob ein Cartoon funktioniert oder nicht.
In meinem Laden-Atelier Fritzen in St. Pauli verkaufe ich gerahmte Cartoons. Mein Arbeitsplatz ist direkt über dem Galerieraum, und wenn ich dort Kunden über meine Bilder kichern höre, macht mich das immer so glücklich.

Seit ein paar Jahren habe ich eine eigene Cartoon-Rubrik im Chrismon-Magazin. Ehrlich gesagt, habe ich aber keine Methode, um auf einen Cartoon zu kommen. Es ist eher ein Wechselspiel aus Wollen, Verzweifeln und plötzlicher Erlösung durch einen Gedankenblitz. Manchmal kommen mir diese Geistesblitze auch ganz spontan, ohne vorheriges Wollen.

Ahmadjan und der Wiedehopf
Ahmadjan und der Wiedehopf

Mit "Ahmadjan und der Wiedehopf" erscheint nun deine erste Graphic Novel. Was hat dich dazu bewogen, diese aufwändige Projekt anzugehen?

Dieses Buchprojekt entstand aus einer Notwendigkeit. 2021, als die Taliban die Macht in Afghanistan übernahmen, wurden bei meinem Vater alte Narben aufgerissen. Wir wollten unbedingt etwas gegen dieses Gefühl der Ohnmacht tun und etwas schaffen, das uns guttut. Wir wollten an ein Afghanistan erinnern, das von gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt geprägt war. Wir wollten unsere afghanisch-tadschikischen Wurzeln ehren, uns als Vater und Tochter im künstlerischen Dialog näherkommen und wir wollten als Künstler nicht schweigend hinnehmen, dass die Taliban erneut die Kultur Afghanistans vernichten.

Kannst du uns ein bisschen über die Zusammenarbeit mit deinem Vater erzählen? Wie war er in die Entstehung des Buchs eingebunden?

Ich kannte bereits ungefähr die Lebensgeschichte meines Vaters. Ich hatte eine erste Version grob aufgeschrieben, und dann trafen wir uns in meinem Atelier, wo er mir dann alles im Detail erzählte. Wir begannen morgens, und als er nach Hause ging, wollte ich das Mittagessen vorbereiten und stellte fest, dass es bereits 18 Uhr war. Es fühlte sich an, als wäre ich in einem Zeitloch gewesen. Von da an kam Papa immer donnerstags in mein Atelier, und gemeinsam besprachen wir die nächsten Seiten des Buches.

In diesem Buch werden auch die Kunstwerke meines Vaters gezeigt, die eine ganz eigene Erzählung mitbringen. Im Laufe der Jahre wandelten sich seine Werke von fröhlich bunt zu erschreckend düster. Als Kind hatte ich große Angst vor diesen dunklen Bildern und musste nachts, wenn ich zur Toilette ging, daran vorbeigehen. In dem Comic erzähle ich auch viel über die Kunst meines Vaters und wie die Kunst und der Schaffensprozess ihn immer wieder gerettet haben. Durch seine Kunst trat mein Vater auch stets in den Dialog mit anderen Menschen. Das ist die Kraft der Kunst.

In Afghanistan gibt es so viele Ethnien, und die Gräben sind so tief und werden immer tiefer, dass es scheint, als könnte die Gesellschaft nie mehr vereint werden. Aber die Liebe zu Ahmad Zahir (einem afghanischen Musiker aus den 70ern, der traditionelle Musik mit westlichen Einflüssen verband) vereint alle. Und das ist so schön.

Welchen Bezug hast du zu Afghanistan? Welche Rolle spielt das Land für dich und deine Identität?

Ich war noch nie in Afghanistan und spreche die Sprache nur sehr schlecht. Mit meiner Herkunft verhält es sich ein wenig wie mit Papas Bildern: Ich mochte sie zwar irgendwie, aber sie waren für mich nur im Hintergrund präsent. Jetzt, mit über vierzig, interessiere ich mich plötzlich viel mehr dafür.

Durch die Arbeit an diesem Buch sind Papa und ich uns näher gekommen. Ich habe ihn und meine eigene Herkunft besser verstanden und dabei eine tiefe Liebe für dieses kulturreiche Land entdeckt.

Der titelgebende Wiedehopf, der im Comic als Symboltier deinen Vater begleitet, stammt aus dem knapp 800 Jahre alten Gedicht „Die Konferenz der Vögel“ von Fariduddin Attar, das du als eine zweite narrative Ebene einsetzt. Was hat es mit diesem Gedicht auf sich?

Alles begann damit, dass Papa 1000 Vögel gemalt hatte (wirklich 1000 Vögel!), inspiriert von der “Konferenz der Vögel”. Er wollte, dass seine aktuelle Arbeit auch in den Comic über sein Leben einfließt. So kam es, dass ich mich mit diesem Meisterwerk der persischen Literatur auseinandersetzte.

„Die Konferenz der Vögel” ist eine 800 Jahre alte und dennoch hochaktuelle Geschichte. Die Konferenz der Vögel wird vom Wiedehopf einberufen, weil die Welt der Vögel in Unruhe ist – es herrschen Kriege, Armut und Naturkatastrophen. Die Vögel sind auf der Suche nach einem Führer, der ihre Welt rettet. Doch die Rettung finden sie nur gemeinsam, im Dialog miteinander. Mein Vater ist mit diesem persischen Epos aufgewachsen. Sein Großvater hat es ihm immer erzählt. Der persische Poet Attar schrieb „Die Konferenz der Vögel” in einer Zeit großer Unruhe, während der Mongoleninvasion im 13. Jahrhundert.

Ahmadjan und der Wiedehopf
Maren Amini

Ich sagte gleich zu Beginn zu meinem Papa: „Ich will dich in dem Buch aber nicht heroisieren“. 

Ahmadjan und der Wiedehopf

Mit "Ahmadjan und der Wiedehopf" legst du nicht nur positive Aspekte der Lebensgeschichte deines Vaters offen. Du erzählst davon, wie seine Ehe scheitert, wie er zwischen seiner Familie in Deutschland und seiner Herkunft aus Afghanistan schier zerrissen wird. Wie war es für dich, sich mit solch schwierigen Aspekten seiner Lebensreise zu beschäftigen?

Ich sagte gleich zu Beginn zu meinem Papa: „Ich will dich in dem Buch aber nicht heroisieren“. Es ist ohnehin spannender für eine Geschichte, wenn die Hauptfigur Schwächen hat. Der Teil über die Trennung meiner Eltern war jedoch am schwierigsten für mich umzusetzen, da mein Vater und meine Mutter nicht darüber sprechen wollten. Nach sehr sehr langem Rumdrucksen meinte mein Vater schließlich: „Letztendlich ist doch jeder irgendwie für sich allein.“ Mehr konnte ich nicht erfahren. Daher griff ich auf eine Erzählung des Wiedehopfs aus der “Konferenz der Vögel” zurück.

Durch die Arbeit an dem Buch konnte ich auch Frieden mit meinem Vater schließen – damit, dass er, als ich klein war, immer irgendwie woanders war, sowohl körperlich als auch geistig. Durch das Schreiben und Zeichnen habe ich mich in ihn hineingefühlt und ihn irgendwie verstanden.

Du zeigst in "Ahmadjan", wie individuell und vielschichtig jede migrantische Erfahrung ist. Was wünschst du dir, auch in der künstlerischen Aufarbeitung, von den Medien und dem Kulturbetrieb in Sachen Migrationsdebatte?

Afghanistan hat mehr zu bieten als nur Schreckensmeldungen. Es ist ein Land mit einem reichen Schatz an persischer Hochkultur, Lyrik und Musik. Mein Papa ging Anfang der 70er Jahre auf eine amerikanische Berufsschule in Kabul. Zu dieser Zeit war Kabul einer der kulturell spannendsten Orte. Im Künstlerviertel Charabat zeigte sich die Vielfalt des Vielvölkerstaates. Dort gab es Musik aus Nordindien und Pakistan, klassische Musik aus dem Iran, Einflüsse aus Zentralasien bis hin nach China, und in den 70ern mischte sich auch die westliche Musikkultur hinzu. Vielfalt ist ein unermesslicher Reichtum, und aus dem Austausch verschiedener Kulturen und Ideen entstehen Innovationen.

Viele afghanische Künstler*innen sind nach Deutschland geflohen und bereichern nun die deutsche Kulturlandschaft. Afghan*innen machen einen bedeutenden Teil der migrantischen Bevölkerung in Deutschland aus, und es wird viel über sie geredet. Narrative vom bösen afghanischen Mann und der schwachen afghanischen Frau werden hier oft bedient. Afghan*innen selbst und ihre Meinungen, Erfahrungen und Kulturen finden jedoch wenig Platz in den deutschen Medien.

Viele Afghan*innen haben das Gefühl, in der deutschen Gesellschaft nur eingeschränkt repräsentiert zu sein, fast so, als wären sie kein Teil davon. Man sollte sich doch an die „Konferenz der Vögel” erinnern: Die Hoheit sind wir alle, als Teil eines Ganzen und im Dialog miteinander.

Themenwelt

Alles zu Ahmadjan und der Wiedhopf

Einfühlsam, humorvoll, mit leichtem Strich erzählt und ausgezeichnet mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung 2023: Alles zur Graphic Novel von Maren Amini.

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