Reinhard Kleist
Reinhard Kleist, geboren 1970 in Hürth bei Köln, ist Illustrator und einer der bedeutendsten deutschen Comiczeichner. Er studierte Grafik und Design in Münster und begann bereits während seines Studiums, erste Comics zu veröffentlichen. Einen frühen Erfolg erzielte er mit einer Comicerzählung über H.P. Lovecraft, die ihm den Max und Moritz-Preis einbrachte. Nach seinem Umzug nach Berlin 1996 etablierte sich Kleist mit seinem ersten großen Werk, der Comicbiografie "Cash – I See a Darkness" (2006) über den Musiker Johnny Cash, die in mehrere Sprachen übersetzt und für die Harvey und Eisner Awards nominiert wurde.
Kleist ist bekannt für seine detailreiche Recherche und die tiefgehende Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten seiner Figuren. Seine Werke umfassen u.a. "Der Boxer" (2012) über den Holocaust-Überlebenden Hertzko Haft, "Der Traum von Olympia" (2015), die Geschichte der somalischen Läuferin Samia Yusuf Omar, und die Biografie "Nick Cave – Mercy on Me" (2017). Neben Buchveröffentlichungen und internationalen Projekten engagiert sich Kleist in der Flüchtlingshilfe und gibt Workshops weltweit. Im November 2024 erscheint mit "LOW" endlich der zweite Teil seiner Comicbiografie über David Bowie, die Bowies Berliner Jahre thematisiert.
Lieber Reinhard, vielen Dank erstmal, dass Du Dir wieder die Zeit für uns nimmst. Könntest du uns eingangs erstmal ein bisschen über dich erzählen? Wann und wie bist du zum Comiczeichnen gekommen und was hat dich am Comic und seinen narrativen Möglichkeiten fasziniert?
Natürlich hab ich schon als Schulkind Comics gezeichnet und zwar zum größten Teil unter der Schulbank. Später wollte ich allerdings große Kunst machen und hab mich mit Ölmalerei beschäftigt. Zum Comic bin ich dann während meines Studiums auf der Fachhochschule in Münster gekommen.
Ich entdeckte die Bücher von Dave McKean und Bill Sienkiewicz und wollte so Geschichten erzählen wie sie, nämlich mit unterschiedlichen Techniken und einem experimentellen Ansatz beim Storytelling. Da kam dann die Malerei auch wieder ins Spiel.
Von Anfang an fand ich es spannend, Geschichten so zu erzählen, dass der Leser in die Story hineingezogen wird. Leider stand bei meinen ersten Büchern die Technik zu sehr im Vordergrund, sodass ich mich später eher an den großen Erzählern wie Will Eisner oder Baru orientiert habe.
Über die Jahre hast du biografische Comics zu Johnny Cash, Nick Cave und nun Bowie veröffentlicht – was macht für dich als Erzähler einen Musiker so interessant, dass Du über ihn und seine Kunst erzählen willst?
Schon beim ersten Buch, das sich mit Musik beschäftigt hat, war mir klar, dass ich in einem Medium, das keinen Sound hat, die Musik erfahrbar machen muss. Also habe ich einige Songs von Johnny Cash als Kurzgeschichten eingebaut und die Konzertszene im Folsom Prison am Schluss extra lang nacherzählt. Ich wollte, dass der Leser nicht nur Fakten über die Person Cash erfährt, sondern in die Musik einsteigen kann. Das gleiche habe ich auch bei dem Comic über Nick Cave gemacht.
Bei Bowie ist es ähnlich, wenn auch anders getaktet. Alle sind großartige Geschichtenerzähler, aber Bowie ist es mehr das gesamte Konzept, als einzelne Songs. Das Album „Ziggy Stardust“ erzählt ja eine komplette, ausgeklügelte Story. Bei allen hat mich interessiert, was sie über ihre Musik und ihr Leben hinaus für mich bedeuten. Bei Cash ist es das Thema der Freiheit und des Gefangenseins, bei Cave die Gottgleichheit des Künstlers in Bezug zu dem Werk, das er geschaffen hat, bei Bowie ist es die Rolle des Rockstars als Retter von Welten. Der Erde, die dem Untergang geweiht ist, wie in Ziggy Stardust. Und der kleinen Welt, die wir alle in uns tragen. Bei allen drei Musikern geht es aber auch um die darin innewohnenden Abgründe.
„Low“ spielt zu großen Teilen in deiner Wahlheimat Berlin. Wir befinden uns im Jahr 1976 – nach den Jahren, die du in „Starman“ beschreibst, ist Bowie komplett ausgebrannt und drogenahängig. Berlin ist für Bowie eine harte Zäsur und ein Neuanfang. Er macht einen Entzug - von Rauschgift, aber auch vom Rausch seines High-Society-Lebens in L.A. Kannst du uns ein bisschen die erste Zeit von Bowie in Berlin beschreiben und was die Stadt ihm alles gegeben hat?
Auch wenn es unwahrscheinlich klingt, da Berlin schon zu der Zeit einen Ruf als Stadt des Exzesses hatte, war Berlin für Bowie wie ein Sanatorium. Er kam von dem ausufernden Drogenmissbrauch seiner Zeit in L.A. runter und er verschrieb sich einem Lifestyle, der eher bodenständig war. Er lebte in einer Wohnung in Schöneberg in einer WG mit seiner Assistentin Coco Schwab und Iggy Pop.
Was ihn schon in den USA begeisterte, war die Musik, die aus Deutschland kam. Kraftwerk und Tangerine Dream waren grosse Einflüsse. Mit Edgar Froese von TD verband ihn eine enge Freundschaft. Es gibt eine Erzählung, dass sie zusammen Schallplatten einkaufen waren, was ich im Buch dann auch wiedergegeben habe. Ein bedeutender Wegweiser für seine Zeit in Berlin ist der Roman „Goodbye to Berlin“ von Christopher Isherwood. Tatsächlich war er so fasziniert von dem Roman, dass er versuchte, wenigstens Teile davon nachzuleben, was sich besonders in der Beziehung zu Romy Haag manifestierte.
für LOW hast du so viel Berlin gezeichnet wie selten zuvor, vor allem die Mauer übt auf Bowie immer wieder eine starke faszination aus und wird auch eine wichtige Rolle für die Entstehung von „Heroes“ spielen. Was war dir wichtig in der Darstellung Berlins, das in „Low“ mythisch und historisch zugleich wirkt? Wie hat sich Berlin durch die Perspektive Bowies für dich verändert?
Ich wollte die Stadt zu der Zeit porträtieren und zeigen, was für einen Einfluss sie auf den Künstler Bowie hatte. Zu der Zeit stand die Mauer ja noch und ihre Präsenz war überall zu spüren. Dass sich Bowie in einer Stadt, die umgeben war von einer Mauer, so frei wie noch nie in seinem Leben gefühlt hat, ist wirklich bemerkenswert. Die Darstellung der Stadt hat mir großen Spaß bereitet. Alleine das Recherchieren der Orte, wo die Geschichte spielt. Einige Gesichter von den alten Fotos habe ich direkt in den Comic übertragen, zum Beispiel das Gesicht des Barkeepers vom „Anderen Ufer“.
Ich habe Berlin erst nach dem Fall der Mauer kennengelernt. Für mich war die Stadt eher geprägt durch die Nachwendezeit und die Möglichkeiten, die sich durch den Leerstand im Osten ergaben. All die Partylocations und schrägen Kunstorte. Aber auch ich folgte dem Ruf der Stadt als Schmelztiegel der Künste, als Ort, wo einfach alles passiert und passieren kann, und die Stadt geprägt ist durch Gegensätze. Diese explosive Kraft müssen wir in Berlin bewahren.
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Am 26. November erscheint die nächste große Musiker-Biografie von Reinhard Kleist.
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