Ralph Ruthe

Ralph Ruthe nimmt die kleinen (und großen) Missgeschicke mit Humor, frei nach dem Motto: "Shit happens!" Damit erreicht er auf Social Media ein Millionenpublikum, viele seiner Cartoons sind preisgekrönt.

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Ralph Ruthe im Interview zu 20 Jahren Shit happens! (gekürzt)

"Ich habe bereits als Teenager die Tageszeitungs-Strips für Käptn Blaubär getextet und war knapp 10 Jahre lang Autor bei MAD. Aber ich muss sagen, dass weder das eine noch das andere Einfluss auf meinen Humor und Erzählstil hatte."

"Das Tolle an Cartoons ist, sie sind relativ schnell umgesetzt und man kann sie auch nebenher machen [...] Und so suchte ich [2003] nach einem knackigen Titel („Shit happens!“), auf den ich durch meinen Freund und Ex-Verleger Steffen Boiselle kam und veröffentlichte ab sofort zweimal pro Woche auf meiner Website einen Cartoon - ohne Redaktion, ohne Verlag und ohne Plan."

"Ja, auf jeden Fall. Weil sich die Welt (zum Glück) verändert hat. In den 90ern war es in TV und Comedy normal, sexistische, ableistische und rassistische Witze zu machen. Das hab ich teilweise auch gemacht und oft war es mir gar nicht bewusst. Tatsächlich war nie mein Ziel, mit meinem Humor zu verletzen. Und wenn man mit Humor arbeitet, kann man das auch einfach schwer komplett ausschließen - Humor ist wie „lecker“ - immer subjektiv."

"Es wird um die Charaktere aus meiner Youtube-Se-rie „Die HNO-WG“gehen und wie sie zueinander gefunden haben. [...] Covid hat das Projekt leider zwei Jahre unfreiwillig auf Eis gelegt. Momentan bin ich hoffnungsvoll, dass der Film Ende 2025 ins Kino kommen könnte."

Ralph Ruthe
„GIBT’S DOCH GAR NICHT!“ GIBT’S DOCH!

Wie ein Bielefelder Cartoonzeichner ein Millionenpublikum fand

Wer ist eigentlich Ralph Ruthe?

Gäbe es Bielefeld tatsächlich nicht, wie immer wieder behauptet wird, müsste Deutschland auf einen seiner begnadetsten Cartoonisten, Comedians, Autoren, Sänger, Filmemacher und meinungsstarken Podcaster verzichten. Ziel von Ralph Ruthes liebevollem Spott wird regelmäßig auch jene Stadt, in der er  1972 geboren wurde. Natürlich hat er auch die Vorlage mit der angeblich nicht existenten Heimatstadt schon verwandelt: Ein Bielefelder und der Weihnachtsmann begegnen sich da und rufen synchron:  „Gibt’s doch gar nicht!“ Überhaupt ist kaum etwas vor ihm sicher, was sich irgendwie seinem Universum  aus kontrolliertem Wahnsinn und kunstvoll verdrehter Analogiebildung einverleiben lässt. Die eigentliche  Kunst Ralph Ruthes besteht aber vor allem darin, den Witz exakt dort zu finden, wo ihn niemand sonst je  gesucht hätte.

Nur Ruthe schafft es, aus der doch recht begrenzten Sozialstruktur eines Goldfischglases einen Mikrokosmos der menschlichen Eitelkeit und Selbstüberschätzung zu machen. Und wer sonst würde auf die  Idee kommen, ausgerechnet Bäume, ebenfalls mit einem eher eingeschränkten Handlungsspielraum, zu  Protagonisten seiner in präzise Striche gefassten Bildgeschichten zu machen? Haben sie heute schon mal  über einen Laubbaum gelacht? Bei Ruthe funktioniert so etwas wundersamerweise. Ebenso wie Gags  der Bauart „Kommen eine Giraffe, ein Nashorn und ein Koalabär zum HNO-Arzt…“ Er selbst beschreibt  seinen Humor sehr treffend als „liebenswert-bösartig“. 

Von „Schweinskram“ zu „Shit Happens!“ 

Der unbedingte Wille, der oft erschütternden Einfallslosigkeit der Realität eine Armee aus skurrilen  Charakteren entgegenzusetzen, zeichnete sich früh ab. Bereits mit 14 tat sich Ruthe in der deutschsprachigen  Comicszene um und begann schon bald, so unterschiedliche Medien wie Kundenmagazine,  Tageszeitungen und Technikfachblätter mit seinen schrägen Einfällen aufzuwerten. Als Texter hinterließ er erste humoristische Spuren in der Comicstrip-Adaption der Zeichentrickreihe „Käpt’n Blaubär“. 1996,  kurz nach dem Zivildienst, erschien sein erstes Cartoon- und Comicalbum „Schweinskram“ bei seinem  ersten Verlag B&L. Ab 1998 zeichnete der Bielefelder für die deutsche Ausgabe des MAD-Magazins.  Seine MAD-Cartoons und Comic-Onepager erschienen  im Dino Verlag als „Ruthe-Report“-Bände. Weil Ralph Ruthe seinem Einfallsreichtum aber ungern  Zügel anlegen lässt, startete er 2003 seine Cartoon-Serie „Shit happens!“, die bis heute sein Markenzeichen  geblieben ist. 2005 bis 2008 gewann der Zeichner  damit viermal hintereinander den Sondermann-Preis  der Frankfurter Buchmesse in der Kategorie Cartoon.  45 „Shit happens!“-Bücher sind im Laufe der Jahre bei  CARLSEN / LAPPAN erschienen, sogar auf Latein und in  unterschiedlichen Dialekten. Außerdem mehrere Ausgaben von „Frühreif“ und „Flossen“ so wie die Kinderserie  „Ferdinand“, die er zusammen mit seinem Freund und  Comiczeichner Flix geschaffen hat.

Ein humoristisches Multiversum

Das Wort Multitalent mag etwas abgenutzt klingen,  doch wie sollte man einen zeichnenden, dichtenden, filmenden, Musik und Hörspiele machenden, Regie führenden Künstler sonst beschreiben? Ruthe hat ein humoristisches Multiversum geschaffen. Seine „Werbeparodien“,  die einst die Heftrückseiten des MAD-Magazins zierten,  erweckte er gemeinsam mit seinem Leipziger Animator Falk Hühne Anfang der 2010er-Jahre als Trickfilm-Reihe zum Leben. Auch seine Goldfischglas-Sitcom  „Flossen“ oder die „HNO-WG“, mit Giraffe Günni, Nashorn Jochen und Koala Krüger fanden auf YouTube ein animiertes Zuhause. Das nicht immer ganz spannungsfreie Verhältnis zwischen „Biber und Baum“  setzte er so gekonnt in Szene, dass einzelne Trickfilm-Folgen mehr als 2,5 Millionen Klicks generieren. Im Grunde fehlte da nur noch eine Plattform, wo Ruthe all diese Talente vereinen konnte: die Bühne. 2007  hob er gemeinsam mit dem leider viel zu früh verstorbenen „Monster des Alltags“-Schöpfer Christian Moser und dem gefeierten Comickünstler Flix das Programm „Mädchen, Monster, Missgeschicke“ aus der  Taufe. Cartoonshows sind heute keine Seltenheit mehr. Ruthe aber darf sich zu Recht als einer der Pioniere  auf diesem Gebiet betrachten. Inzwischen füllt er mit seiner Multimediashow aus selbstverfassten Texten,  auf die Leinwand projizierten Cartoons, Musikvideos und Gesangseinlagen (!) immer größere Hallen.  Und ja, Ralph Ruthe macht auch Musik, die ein markanter Trademark seiner Trickfilme ist. Mit dem Song  „Du bist wie Sand“ (2011, 2,3 Millionen YouTube-Aufrufe) erzielte er eine mehrwöchige Chart-Platzierung auf iTunes. Nicht zu vergessen seine Hörspiele zu „Flossen“ und „Das Klo“ (mit Haiko Hörnig). Zu sagen, dass letzteres „gute Unterhaltung für Klein und Groß“ bietet, wäre wieder ein echter Ruthe.

Bis zum letzten Fan

Als die meisten anderen Facebook noch für eine Art Kontaktbörsen für aus den Augen verlorene Schulfreunde und Instagram für ein Online-Fotoalbum hielten, erkannte Ralph Ruthe das Potenzial, das in den sozialen  Medien lag. Er begann, ausgewählte Cartoons zu posten und scharte mit der Zeit ein immer größeres Publikum um sich. Im Gegensatz zu vielen anderen behielt er dabei stets das im Auge, was ihm schon immer  am wichtigsten war: den offenherzigen, fairen Kontakt mit den Fans. Das beweist er auch regelmäßig bei  Autogrammstunden. So manchen Verlagsmitarbeiter*innen brachte er an den Rand der Verzweiflung, weil  er noch dem letzten Fan ein Bild mit Signatur in eines seiner Cartoon-Bücher zeichnen wollte. Ruthe ist seit 2014 verheiratet mit der ebenfalls sehr erfolgreichen Bloggerin Tina Ruthe, seit Oktober  2016 sind die beiden Eltern von Zwillingen. Ruthes knappe Mitteilung auf Facebook, dass er nun „kurzfristig“ Wichtigeres zu tun habe, als sich um seine Follower zu kümmern, muss seine Fanbase nicht beunruhigen. Auch der im turbulenten Familienleben Gelandete ist umtriebig und kreativ wie eh und je, nur hat  sich der Themenkreis aufgrund der neuen Erfahrungen erweitert. So lässt er in einem Cartoon eine Mutter  vor der Frage verzweifeln, woher wohl die Aggressionen ihres Sprössling Heiko-Morgenthau-Fridolin  kommen mögen. 

Kein leeres Blatt vor dem Mund

Seine Social-Media-Kanäle mit insgesamt weit über 3 Millionen Followern nutzt Ralph Ruthe immer wieder, um klare Haltung zu gesellschaftsrelevanten Themen wie Flüchtlingspolitik oder den Klimawandel zu  zeigen. Regelmäßig verleiht er seine Accounts an Personen, die weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen als er. Sehr kurz angebunden reagiert Ruthe stets dann, wenn Menschen ausgegrenzt werden sollen  oder extremistisches Gedankengut laut wird. Er ist eben kein Mann, der ein Blatt vor den Mund nimmt,  und schon gar kein leeres. Im Podcast „Allgemein gebildet“ nahm er sich in 30 Folgen in 2021/2022  gemeinsam mit der Politikexpertin Sally Lisa Starken politische Themen vor und lud sich dazu Politiker und  Politikerinnen wie Karl Lauterbach, Gregor Gysi und Annalena Baerbock in die Sendung ein.  Mit seinen Cartoons, Videos und Bühnenshows möchte Ralph Ruthe vor allem eines erreichen: Menschen  zum Lachen bringen. Wie allen bedeutenden Komikern ist ihm dabei nur allzu bewusst, wie düster die  Welt ohne Künstler wie ihn wäre. Sein in Produktion befindlicher Kinofilm mit den „HNO“-Stars Günni,  Jochen und Krüger in den Hauptrollen wurde von Corona ausgebremst. Wer Ruthe aber kennt, der weiß,  dass er sich auch von einer Pandemie nicht dauerhaft stoppen lassen wird. Bis der Film voraussichtlich  2025 erscheint, wird er uns noch sehr oft zum Lachen und sicher auch zum Nachdenken bringen. Eventuellen Hindernissen wird er mit Schulterzucken und einem breiten Grinsen begegnen: Shit happens!

von Steffen Haubner (freier Journalist)