Zeitraum - der neue Comic von Lisa Frübeis

Sieben Tage, um die perfekte Komposition einzureichen. Zwei Kinder, die ihren eigenen Kopf haben, eine Frau, die nicht aufgibt.

Nach BUSENGEWUNDER erscheint nun das zweite feministische Buch von Lisa Frühbeis bei Carlsen Comics: DER ZEITRAUM - Gewinner des Ginco Award 2022 als "Bester Web Comic".

Wie gleichberechtigt ist unsere Zeit?

Sieben Tage, um die perfekte Komposition einzureichen. Zwei Kinder, die ihren eigenen Kopf haben. Eine Frau, die nicht aufgibt.

Als Mutter und Musikerin wünscht man sich manchmal nichts sehnlicher als eine ruhige Minute. Doch Zeit und Raum für sich zu finden, ist schwerer als gedacht. Vor allem wenn man alleinerziehend mit zwei Kindern in einem Tiny House lebt. Wie schön wäre da eine Parallelwelt, um den Ansprüchen des Alltags zu entfliehen? Die Verlockung des bunten, sorgenfreien Zeitraums ist groß. Doch welchen Preis fordert er? Und ist Perfektion in allen Lebensbereichen überhaupt möglich? 

Lisa Frühbeis kontrastiert gekonnt die graue Welt des Alltags mit einer bunten, sorgenfreien Traumwelt, in die sicher jeder Elternteil mal entfliehen möchte. Doch ist Perfektion in allen Lebenslagen überhaupt erstrebenswert?

Comics Lisa Frühbeis Der Zeitraum

So fantasievoll und gleichzeitig präzise habe ich dieses Thema noch nie dargestellt gesehen.

Doris Dörrie
Über die Künstlerin

Lisa Frühbeis

Lisa Frühbeis, Jahrgang 1987, studierte in Paris, Urbino und Augsburg. Sie schreibt und zeichnet  gesellschaftspolitische Comics. 2012 wird sie von der Studienstiftung des Deutschen Volkes angenommen. Ihr erstes Buch, die feministische Comicstripsammlung Busengewunder, erschien 2020 im Carlsen Verlag und erhielt den Max und Moritz Preis für den besten deutschen Comic Strip. 


Der Zeitraum erhielt 2022 den Ginco-Award für den besten Webcomic und erscheint in Buchform bei Carlsen Comics. Sie erhielt außerdem den Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur, den Red Dot Design Award, und war auf der Shortlist des 3x3 Illustration Awards NY. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen 
im In- und Ausland präsentiert. Sie gestaltet auch für den öffentlichen Raum, so auch eine jüdisch-feministische Tram, und die Fensterfront eines öffentlichen Schwimmbads. Illustration hat sie an vielen Hochschulen unterrichtet, u.A. an der Hochschule Würzburg und der TU München. 

Sie lebt in Augsburg und ist im Netz unter www.lisafruehbeis.de zu Hause.

Comics Lisa Frühbeis

Lisa Frühbeis über die Arbeit an "Der Zeitraum"

Das Projekt ist im Rahmen von „Scroll down to proceed – Female lives in Webtoons“ des Goethe Instituts Korea publiziert worden. Die Programmleiterin Melanie Bono kam auf mich zu, um eine Projektskizze für zweideutsche und zwei koreanische Zeichnerinnen zu entwerfen. Die wurde angenommen, und in dem Rahmen habe ich dann einen bereits fertigen Kurzcomic weiterentwickelt. Wir haben uns zu viert alle zwei  Wochen online getroffen, ausgetauscht, unsere Geschichten entwickelt, und am Ende bei Tapas auf Englisch und bei Dillyhub auf Koreanisch publiziert. Ich habe den Comic nach der langen Entwicklungsphase in einem sehr eng getakteten Zeitrahmen gezeichnet, 120 Seiten in sieben Monaten, und er wurde noch schneller veröffentlicht, innerhalb von zwei Monaten. Für die gedruckte Version habe ich viele Seiten vom schmalen Scroll-Layout auf das breite Buch-Layout umgezeichnet, vor allem die extravaganten Musikseiten. Zusätzlich 
kamen ein paar neue formatfüllende Landschaftsbilder als rhytmisierende Elemente dazu – denn das war interessant: Durch das Klicken von Folge zu Folge entstehen im Webcomic automatisch Pausen, die dann im Leserhythmus der Buchversion erst mal gefehlt hatten. Natürlich gab es auch ein paar bildliche Korrekturen, aber nur zur inhaltlichen Schärfung. Außerdem wurden alle Sprechblasen und Soundwörter von mir neu und per Hand gelettert.

Die erste Version des Comics ist nach einem Traum im Urlaub entstanden. In der Zeit habe ich sehr viele ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeführt, was schön und lehrreich war, aber auch viel Druck erzeugt hat. Das eskapistische Traumbild habe ich sofort auf Papier festgehalten. In den kommenden zwei Jahren ist dabei ein Comic von einer Kreativschaffenden und Mutter von zwei Kindern entstanden, die Nachts abhaut um als Monster mit anderen Geisterwesen und Bacchanten zu feiern.

Während des Lockdowns ist dann die zweite Variante entstanden. Mir ist durch diese neue Erfahrung bewusst geworden, dass über all dem das Thema „Zeit“ steht. Auszug aus BUSENGEWUNDER (2020)
Wenn wir von Freiheit sprechen, geht es vor allem um Handlungsfreiheit, also wie wir über unsere Lebenszeit verfügen können. Denn jede Entscheidung für etwas ist eine Entscheidung gegen ganz viele andere Dinge. Je weniger Privilegien wir haben, desto mehr wird diese Entscheidung für uns getroffen, weil sich die Frage gar nicht stellt. Alleinerziehende Frauen sind das Beispiel für die, die am wenigsten Privilegien haben. Und künstlerische Berufe brauchen am meisten Zeit und bringen am wenigsten finanzielle Ressourcen – die ja auch wieder nur eine Umwandlung von Zeit sind. Also habe ich auf diese Problematik hingeschrieben.

Da meine Mutter alleinerziehend war, habe ich die Thematik von Kindheit an vor Augen gehabt. Das Buch ist sicher auch Durchdeklinierung der persönlichen Frage: „Was, wenn ich als Künstlerin Kinder bekomme, und alles geht schief?“ Dabei bin ich alle drei Figuren: die zerrissene Mutter, die unwillige Pubertierende, und das kleine Kind, das in bester Unschuld allerlei Unsinn macht. Den Comic zu schreiben, war spaßig und angsteinflößend zugleich.

 

Gleichberechtigung ist etwas unglaublich Fragiles, das haben uns die Pandemiejahre gezeigt. Wir arbeiten Jahrzehnte daran, Frauen durch Aufteilung der Carearbeit etwas mehr zeitliche (und damit einhergehend finanzielle) Freiheit zu verschaffen. Statistisch schlägt sich das zum Beispiel im Gender-Pay-Gap nieder, der sich gefühlt in Super Slow Motion verringert. Und innerhalb von einem Jahr schnalzt alles extrem schnell in  der Zeit zurück. Das sind einschlägige Erlebnisse für eine ganze Generation.

 

Je mehr Zeit eine Tätigkeit braucht, desto mehr beißt sie sich mit klassischer Familienplanung. Comic ist da die schlimmste aller Künste, denn er bringt nochmal viel weniger Geld ein. Fast alle Comicmachenden, die ich kenne, verdienen sich parallel zu, und schaufeln sich so Zeit für ihre persönlichen Projekte frei. Ich habe zum Beispiel bis zur Pandemie als Kreativberaterin und LiveZeichnerin für  Unternehmensberatungen gearbeitet. Wenn die Familie kommt, geht das aber nicht mehr richtig, denn auch wenn man sich die Carearbeit 50/50 aufteilt: Plötzlich hat man nur noch 25% der Zeit für Finanzprojekte und 25% für persönliche Projekte zur Verfügung. Weil Comic aber so wenig Geld bringt, kann er nicht gleichberechtigt die Familie  mitfinanzieren – und schluckt trotzdem unglaublich viel Zeit! Dadurch fällt er einfach oft ganz 
weg. Das ist eine bittere Pille. Und in vielen Kreativbranchen ähnlich.

Aber andere, etabliertere Kunstarten werden zumindest (unterschiedlich stark) staatlich gefördert: Film, Animation und Theater zum Beispiel, Musik und auch Textliteratur. Diesen Stand hat Bilderzählung noch nicht. Schlimmer: Im Gros der Kunst- und Literaturförderungen werden wir nicht anerkannt oder sogar explizit ausgeschlossen. Dadurch können nur Menschen mit ausreichenden Ressourcen und Privilegien Geschichten in Comics erzählen. Das frustriert mich, weil ich davon überzeugt bin: Geschichten haben schon immer die Welt verändert! Und wenn wir eine  demokratische Gesellschaft wollen, brauchen wir auch die Erzählungen Aller. Nicht nur die derjenigen, die es sich finanzieren können. Und das sind, darauf will meine Geschichte letztendlich hinaus, eben zum Beispiel zu selten die alleinerziehenden Frauen. Sie können es sich schlicht finanziell und dadurch zeitlich nicht leisten.

Die Farbe sollte auch erzählerisches Mittel sein. Ich wollte, dass die Parallelwelt im Kontrast zur grauen Insel richtig knallt. Fast ein bisschen zu stark. Die Lesenden sollten farblich erleben, was die Hauptfigur fühlt: „Wow, krass hier!“ Und wieder schnell in den Raum zu den tollen Farben wollen. Beim Machen habe ich immer erst kurz vor dem Tuschen und Kolorieren der Zeitraum Szenen entschieden, wie die jeweilige Farbgebung wohl diesmal aussieht. Dabei sollte es jeweils ein bisschen dunkler und gruseliger werden.

Alle Bilder sind komplett analog entstanden. Ich habe auf den Inselszenen mit Tusche und zwei grauen Aquarelltinten gearbeitet. In den Parallelwelt Szenen kamen verschiedenfarbige Aquarelltinten, und neonfarbene Acryltinte dazu. Das analoge Arbeiten macht mir mehr Spaß, und viele Farben (wie die Neonfarben) hätte ich wohl bei digitaler Kolorierung nicht in Betracht gezogen. Die Originale leuchten richtig toll. Es ist ein bisschen albern, aber sowas macht mich glücklich. Und wenn Comicmachen schon so viel Zeit 
braucht, dann ist das doch das Wichtigste!